Das Anschreiben – Chance oder überflüssiger Ballast?

Neben Lebenslauf und Zeugnissen galt das Anschreiben bisher als selbstverständlicher Bestandteil und Standard einer Bewerbungsunterlage. Seit einiger Zeit aber mehren sich Stimmen, die behaupten, das Anschreiben als Teil einer vollständigen Bewerbungsunterlage sei überflüssig und habe ausgedient. Ist dem tatsächlich schon so und was spricht eigentlich für und gegen ein Anschreiben als Bestandteil einer Bewerbung?

Obwohl das Anschreiben dem Recruiter* ermöglichen kann – ergänzend zu Lebenslauf und Zeugnissen – weitere persönliche und individuelle Eindrücke von dem Bewerber und dessen Soft Skills und Motivation zur Bewerbung zu erhalten, wird es zunehmend kritisch gesehen. Denn erfahrungsgemäß tun sich viele Bewerber mit der Formulierung eines überzeugenden Textes schwer und verbringen meist viel Zeit damit, ihr Anschreiben zu optimieren. So mancher Berufsanfänger, einzelne Berufsgruppen und Azubis fühlen sich oft regelrecht gestresst und überfordert, wenn es um diesen Teil ihrer Bewerbung geht. Daher suchen Viele Sicherheit in Formulierungen aus Bewerbungsratgebern oder vergleichbaren Anleitungen, was im Ergebnis leider häufig zu floskelhaften, ähnlichen und letztlich unpersönlichen Schreiben führt. So bieten sie dem Recruiter insgesamt eher keinen zusätzlichen Informationswert. Mit Blick darauf und zusätzlich befördert durch den stetig zunehmenden Personal- und Bewerbermangel sind einige größere DAX-Unternehmen dazu übergegangen, auf das Anschreiben als Pflichtbestandteil einer Bewerbung zu verzichten. Dies vor allem bei der Besetzung von Ausbildungs-und Studienplätzen, aber auch bei der Suche nach raren Fachkräften wie z.B. im Tech-/IT-Bereich. Tatsächlich konnten einige Unternehmen als Folge auch eine deutliche Steigerung des Bewerbereingangs verzeichnen (so z.B. bei der Deutschen Bahn um 10 % nach Verzicht auf die Anschreiben bei Bewerbungen um Ausbildungsplätze und duale Studiumplätze – Quelle: Wirtschafswoche vom 03. März 2019). Dieses positive Resultat mag daher auch erklären, warum inzwischen mehr als die Hälfte der Arbeit-geber Bewerbungen ohne Anschreiben akzeptieren. Vielfach aber verzichten Firmen nicht ersatzlos auf das Anschreiben, sondern etablieren stattdessen Fragenkataloge, Online-Tests und Telefoninterviews, um so bei der Vorauswahl bereits zielgerichtet mehr Informationen von ihren Bewerbern zu erhalten.

So mancher Bewerber wird angesichts dieser Entwicklung deutlich erleichtert sein, wenn er sich nicht mehr mit einem Anschreiben „stressen“ muss und bei der Erstellung seiner Bewerbungsunterlagen auch einiges an Zeit sparen kann. Auf den ersten Blick mag dies tatsächlich eine Erleichterung sein und Kandidaten motivieren, sich schnell und spontan zu bewerben. Doch begeben sie sich so auch der wichtigen Chance, als Bewerber ihre ganz persönliche Visitenkarte“ abzugeben und sich mit einem gelungenen Anschreiben qualitativ und individuell aus der Masse abzuheben. Bewerber können im Anschreiben ergänzende Argumente anführen, die aus ihrem Lebenslauf nicht zu entnehmen sind, sie können Lücken in diesem erklären und so Irritationen im Vorfeld bereits entkräften. Insgesamt können sie über ein Anschreiben zudem belegen wie engagiert und motiviert sie hinter ihrer Bewerbung stehen.

In jedem Fall aber ist die gedankliche Vorbereitung mit möglichen Inhalten eines Anschreibens zielführend und hilfreich für den weiteren Verlauf der Bewerbung. Denn sie verlangt vom Bewerber sich mit zentralen Fragen auseinanderzusetzen, auf die er sich für eine erfolgreiche Bewerbung immer einstellen muss:

  • Was macht mich als Individuum eigentlich aus?
  • Warum bewerbe ich mich, was motiviert mich, gerade für diesen Job und diesen Arbeitgeber?
  • Welche Erfahrungen, welche besonderen Fähigkeiten und welche sozialen Kompetenzen bringe ich ein und warum passe ich mit diesen gerade besonders gut für das ausgeschriebene Anforderungsprofil?

Auf diese Fragen wird der Bewerber früher oder später eine schlüssige Antwort geben müssen, sei es zu einem frühen Zeitpunkt in Fragebögen, Telefoninterviews oder Onlinetests oder aber später im persönlichen Interview.

Daher empfiehlt sich für alle Bewerber genau zu schauen, ob ein Anschreiben tatsächlich nicht verlangt wird und ob der Verzicht darauf am Ende tatsächlich vorteilhaft ist. Am Ende mag es sich doch lohnen, diese zusätzliche Chance für eine persönliche Einleitung zu nutzen. Natürlich mag man sich auch davon leiten lassen wie wohl man sich mit den eigenen Ausführungen tatsächlich fühlt. Unverzichtbar wird das Anschreiben auf jeden Fall aber bei Initiativbewerbungen bleiben, und sinnvoll sicher bei Positionen, für die Kreativität, Kommunikationsfähigkeit oder Ausdruck wesentlich sind.   

Aber auch Personalverantwortliche die aktuell nicht in Großkonzernen händeringend nach Fachkräften suchen und sich regelmäßig durch eine Vielzahl von Bewerbungen kämpfen müssen, sollten den Wert eines Anschreibens aus den genannten Gründen für ihre Personalauswahl nicht unterschätzen.


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